Auto-psy

Auto-psy

10. Mai 2020 2 Von Holm Bourne

Autofahren in Dänemark ist teuer. Weil es teuer ist, muss es Luxus sein. Weil es Luxus ist, muss es teuer sein.

Mit dem Auto (dänisch: bil) verbindet mich eine gewisse Hassliebe. Natürlich schätze ich die suggerierte Unabhängigkeit und den Komfort, selbstbestimmt und wetterfest reisen zu können. Völlig egal ob es die Kurzreise zur Kaufhalle oder wie kürzlich, eine Auswanderung mit dem berstend vollen Fahrzeug ist. Doch je älter ich werde, desto mehr nervt es mich auch. Der Mythos vom Fahr-Spaß existiert – in den Städten – sicher nicht mehr. Stattdessen steh ich in der Verantwortung für ein weiteres Objekt, das umsorgt, verköstigt und beaufsichtigt werden muss. Das deutsche Grundgesetz bringt es auf den Punkt: Eigentum verpflicht! – Verpflichtet zu zahlen.

Richtig absurd wird es jedoch, wenn man sich klar macht, dass da eine Maschine von gut 1.000kg oder mehr steht, die entsprechende Menge Energie bezieht, um für gewöhnlich gerade mal 100kg Mensch (bei mir natürlich weniger) zu bewegen. Wirtschaftlich ist das nicht.

Autos als Freiheits- und Statussymbole zu positionieren war daher der wahrscheinliche cleverste Schachzug der Automobilindustrie. In Dänemark dürfte man vermutlich etwas länger über das Phänomen und seine Zusammenhänge nachgedacht haben, denn Autofahren und vor allem Auto-besitzen, ist – man möchte es nach deutschen Maßstäben so nennen – unanständig teuer.
Oder auf bundesrepublikanische Verhältnisse umformuliert: bei den fälligen Abgaben für das eigene Auto, besteht noch reichlich Luft nach oben.

Auf Verzicht verzichten

Als Großstädter haben wir viele Jahre gut und gerne auf ein Auto verzichtet. Alles war zu Fuß, per Rad und mit Bus oder Bahn bequem erreichbar. Doch Bornholm hat nur Straßen und Radwege. Eine Bahn gibt es nicht mehr, dafür eine kommunale Busgesellschaft, die so arbeitet, als wäre es deren wichtigstes Ziel, jedem die eigene Entbehrlichkeit zu verdeutlichen. Für alternative Mobilitätskonzepte sind die Insel-Verantwortlichen noch nicht bereit – ich habe sie gefragt!

Hier wo naturnahes Leben als hohes Gut gilt, hätten wir gerne auf ein Auto verzichtet, aber spätestens bei 22 km Schulweg, die mit dem Bus in anderthalb Stunden und zweimaligen Umsteigen zu bewerkstelligen sind, tastet man intuitiv nach einem Zündschlüssel. Aber es gibt ja auch Ärzte die rauchen oder Einzelhändler, die bei Amazon bestellen.

Alles was über den eigentlichen Nutzen, ein paar Menschen trocken von A nach B zu bringen, hinausgeht, ist verschwenderischer Lebensstil, der dem dänischen Anspruch, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, widerstrebt. Könnte man meinen. Natürlich kann man das auch ökologisch argumentieren und auf die vermeidbare Umweltbelastung jeder Autofahrt verweisen. Das ist auch nicht von der Hand zu weisen.

Ich unterstelle auch noch einen wirtschaftspolitischen Aspekt, denn Dänemark hat keine heimische Autoproduktion. Wenn hier jeder Haushalt nur ein Auto kauft, sind das enorme Beträge, die ins Ausland überwiesen werden, die dortige Wertschöpfung vorantreiben, aber die eigene Außenhandelsbilanz ins Schwanken bringen. Das muss man erstmal mit Exporten an anderer Stelle ausgleichen.

All das war uns zum Zeitpunkt unserer Auswanderung nur in sehr groben Zügen bekannt. Allerdings mehr in der Art eines Gerüchts und nicht als alltags bestimmende Tatsache. Eigentlich wollten wir unseren alten, aber unverwüstlichen und dabei sparsamen Diesel-Volvo weiterfahren. Doch für alle Autos, die nach Dänemark eingeführt werden, ist eine Registrierungsgebühr fällig. Diese liegt bei 105% des von den Behörden geschätzten Zeitwertes. Bei teureren Fahrzeugen geht es aber bis zu 150%, so dass man sein eigenes Auto quasi noch ein zweites oder drittes Mal bezahlt. Diverse Extras werden nämlich auch noch extra besteuert. Einzig für Details wie Anschnallgurte, integrierte Kindersitze, Crashtestpunkte oder ein Autoradio gibt es Freibeträge bei der Berechnung. Bei Neuwagen und Autos von außerhalb der EU würden sogar noch Zoll und Mehrwertsteuer dazu kommen.

Zudem bezahlt man eine jährliche Steuer, deren Höhe sich aus einer komplexen Formel des Fahrzeuggewichtes, des Verbrauchs bzw. der Emissionen zusammensetzt. Um von dem resultierenden Betrag nicht völlig geschockt zu sein, ist dieser jeweils zur Hälfte pro Halbjahr fällig. Das günstigste Auto ist hier also ein leichter Kleinwagen, mit spartanischer Ausstattung und obligatorischer Anhängerkupplung, um den fehlenden Transportplatz fallweise zu kompensieren.

All dies machte die Ummeldung des Volvos zu einem unkalkulierbaren Risiko mit ungewissen Ausgang. Deswegen haben wir uns umgesehen, ob wir ein Fahrzeug finden, das bereits ein dänisches Nummernschild hat. Aufgrund der vorgenannten Realität ist das aber nicht besonders leicht. Das Preisniveau hatte ich bereits erwähnt. Schwierig wird es dann aber noch, wenn man konkrete Vorstellungen oder besondere Ansprüche hat. Es ist natürlich klar, dass ein kleines Land eben auch bei Gebrauchtwagen nur eine sehr geringe Auswahl bietet. Wenn man sich dann noch zufällig auf einer Insel mitten in der Ostsee befindet, reduziert sich dieses Sortiment noch mal ganz erheblich.

Kennzeichen D-K

Noch in Deutschland las ich einmal, man sollte sich niemals ein Auto aus Dänemark kaufen. Die links und rechts vom Land liegenden Meere würden so viel salzige Seeluft hindurch wehen, dass die zeitnahe Durchrostung quasi garantiert sei. In der Realität habe ich nirgends so wenige an- oder verrostete Fahrzeuge gesehen, wie hier. Rostbehandlung und -vorsorge spielt aber auch – hinsichtlich der Anschaffungskosten – eine wichtige Rolle. Wie diese eben überhaupt dazu beitragen, die Fahrzeuge unabhängig trotz Alter und Laufleistung, für sehr lange Zeit in Schuss zu halten.

Für uns sollte sollte ein kleines Auto ausreichend sein, gerne mit Automatikgetriebe. Weil eine Automatik aber auch der Inbegriff von Luxus beim Autofahren ist (wie auch eine Sitzheizung), gibt es nur eine Handvoll entsprechender Fahrzeuge. Letztlich haben wir einen alten Ford Fiesta aus Kopenhagen geholt, der mit einem relativ niedrigen KM-Stand punkten konnte.

Die große Stärke Dänemarks ist ja die Digitalisierung der Behördengänge und hier konnte unsere neue Heimat voll punkten. Der Schlüssel zu allem ist das Kennzeichen eines Autos. Hier ist das tatsächlich eine originäre Signatur für jedes bestehende Fahrzeug, völlig ohne regionalen Bezug. Es gibt Webseiten, wie bspw. tjekbil, auf denen sich sehr transparent alle technischen und allgemeinen Angaben zum Fahrzeug abrufen lassen. Also nicht nur Fahrgestellnummer und Leistung, sondern eben auch Angaben zur Ausstattung. Ebenso kann man auch die Höhe der Kfz-Steuern abrufen, die letzten Berichte der Hauptuntersuchungen, überprüfen ob das Fahrzeug abgezahlt ist oder auf einer Fahndungsliste steht. Selbst Angebote für Versicherungen oder Ersatzteile lassen sich auf diesem Weg sehr konkret abrufen.

Die Ummeldung direkt beim Kauf, egal zu welcher Zeit, funktioniert dann auch online. Man benötigt nur das Kennzeichen und zwei Kennziffern aus dem Fahrzeugbrief des Vorbesitzers. Innerhalb von wenigen Minuten hat man damit das Auto auf sein eigenes Bürgerprofil angemeldet. Selbst eine Versicherung kann in diesem Prozess (ggf. auch nur als Übergang) abgeschlossen werden. Ich war tief beeindruckt.

Jetzt waren wir also für knapp 20.000 Kronen (ca. 2.700 Euro), Besitzer eines 17 Jahre alten „dänischen Autos“. Es war zwar deutlich kleiner als der Volvo, kostet dafür aber etwa genau so viel Steuern, wie eben jener in Deutschland. Der Kraftstoffverbrauch lag auch höher und statt des günstigeren Diesels tankten wir ab jetzt Benzin. Aber immerhin, es fuhr. Zuerst von Kopenhagen über die Öresudbrücke nach Schweden und dort von Ystad auf die Fähre nach Bornholm.

Hin-Ford mit ihm

Die ersten Wochen wieselte er sich so über die Insel. Ein Kleinwagen fährt eben anders, dachten wir noch, bis nach ein paar Tagen klar war, dass die Bremsen getauscht werden müssen. Doch nach gut zwei Monaten bewegte sich gar nichts mehr. Also mit dem Schlepper in die Werkstatt, um dort zu erfahren, dass die Kupplung verschlissen und die Getriebesteuerung defekt ist. Als dann klar war, dass Ersatzteile und Reparatur mehr kosten würden, als das Fahrzeug überhaupt noch wert sei, wollte mein inneres Ich die Kisten packen, um das Land sofort wieder zu verlassen. Es sind diese Augenblicke, in denen ich dann tief Luft hole und hoffe, dass dieses Ereignis doch bitte wenigstens einen tieferen Sinn haben möge. Vielleicht den, eine bestimmte Marke von jetzt an zu meiden?

Der Mechaniker und Überbringer der Nachricht vom absehbaren Ableben unseres Fahrzeugs war ein sehr rührender Mensch, dem das Zucken meiner Augenlider nicht entgangen sein dürfte. Spontan bot er sich an, das Auto doch wenigstens noch bis zum Schrottplatz von Rønne zu ziehen.
Der dänische Staat verteilt Trostpflaster, in Form von 2.200 Kronen (ca. 300€), für alle Autos die verschrottet werden. Zuvor gehen davon allerdings noch 300 Kronen für die Abmeldung weg.

Mit dem Rest starten wir in die nächste automobile Phase. Natürlich ein Kleinwagen, mit Sicherheit wieder alt und trotzdem bitte günstig. Auf einer Insel mit diesen Dimensionen und ohne Autobahn, wäre ein Elektro-Auto unser Wunschkandidat. Diese sind auch hier unschlagbar günstig im Unterhalt, aber wohl kaum gebraucht und in annehmbaren Zustand zu bekommen. Zudem vermisse ich die notwendige Ladeinfrastruktur. Immerhin kann man sie schon unterwegs auf der Fähre von und nach Bornholm aufladen. An die heimische Steckdose traue ich mich erst, wenn diese von der eigenen Photovoltaikanlage gespeist wird. Es wird also erstmal noch ein traditionelles Gefährt werden.

Hier komplett auf ein Auto verzichten zu können, ohne Lebensqualität zu verlieren, wäre mein ganz persönlicher Luxus.


PS:
Eine Geschäftsidee, auf die ich auch gerne gekommen wäre, und so wohl nur hier funktionieren kann:
Vermögende Dänen, die bei ihren Supersportwagen noch sparen wollen, können ihr Auto im benachbarten Schleswig-Holstein zulassen. Damit sparen sie nicht nur erhebliche Kosten in der Anschaffung und im Unterhalt, sondern haben das Fahrzeug ohnehin gleich dort stehen, wo es kein Tempolimit gibt.