Voll abgefahren!

20. August 2019 2 Von Holm Bourne

Sonntag Morgen, zu einer Zeit, die wir nur selten wach erlebt haben (erst recht nicht Sonntags!) hantieren wir zwischen Kindern, Gepäck, Umzugskisten und einer fast leeren Wohnung.

Während erstere unkalkulierbar und dabei trotzdem irgendwie selbstregulierend sind, beherrscht zweiteres uns seit ein einigen Tagen und heute soll sich herausstellen, ob die Hoffnung, alles wie gedacht, verstauen zu können, annähernd berechtigt war. Mit Blick auf unseren alten Kombi hatten wir daran ernste Zweifel. Als notwendige Alternative sahen wir uns bereits kurzfristig einen Kleinbus anschaffen, was uns wahrscheinlich dazu verleitet hätte, noch viel mehr mitzunehmen. Auf der anderen Seite, wollten wir auf Bornholm aber auch nicht jede Strecke immer mit einem Bulli zurücklegen müssen. Die nächste Idee war dann einen kleinen Anhänger zu erwerben und darin unsere Sachen zu verstauen. Leider hat unser Kombi keine Anhängerkupplung, weshalb diese nachgerüstet oder unser Auto gegen eines mit Kupplung eingetauscht werden müsste. Abgesehen von den dafür fälligen Kosten und dem Ausbremsen unserer Reisegeschwindigkeit, bliebe offen, ob wir bei der Terminlage der Berliner Zulassungsstellen noch rechtzeitig die Eintragung im Fahrzeugschein oder die Anmeldung eines neu gekauften Fahrzeuges rechtzeitig bewerkstelligen könnten.


Letztlich ist es dann eine gebrauchte Dachbox geworden, die wir für 110 € bei ebay-Kleinanzeigen gefunden haben. Wegen der Zuladung von 50 kg bei knapp 320 Liter Transportvolumen, haben wir diese vor allem mit den übrig gebliebenen Beuteln, Handtüchern, Bettwäsche und Jacken befüllt. Ohne diese Möglichkeit wären wir ansonsten hoffnungslos verloren gewesen.

Geplant waren ein großer Koffer pro Person, der bestenfalls von Schlüppi bis Winterstiefel alles für die kommenden zwei Jahreszeiten, in sich aufnehmen sollte. Da die Größen unserer beiden Kinder nahezu fließend ineinander übergehen und genauso getragen werden, reichte sogar ein Koffer für beide. Klingt an sich machbar, wenn da nicht noch die ganzen Extras wären, von denen man nicht weiß, ob diese überhaupt und falls ja, in welchem Umfang gebraucht werden. Und deshalb unbedingt mitmüssen. So hatten wir also auch reichlich Spielsachen, Schuhe, Jacken und Kleinkram mit dabei, den wir auf Bornholm wohl genauso wenig nutzen werden, wie wir es in Berlin schon nicht taten.

Nix geht mehr


Nach einigen Stapelversuchen, fand sich die perfekte Anordnung für drei Großkoffer, eine üppige Reisetasche, zwei Reisetrolleys, eine Schultasche und unzählige Tüten, Beutel sowie ein paar vereinzelte Schuhpaare und Topfpflanzen. Nur ein weiterer Brühwürfel hätte den Kofferraum womöglich zum Bersten gebracht. Neben uns Vieren und einer Katze, galt es noch Proviant wie für eine 5-tägige Arktisexpedition, ein paar Decken und das kindgerechte Beschäftigungsprogramm, gleichmäßig im Fußraum des gesamten Autos zu verteilen.


Dabei fiel mir wieder die Geschichte einer befreundeten Familie ein, die weit vor ’89 auf einem Ungarn-Urlaub, die lang gesuchten Badezimmer-Fliesen entdeckte und unbedingt im Trabi mit nach Hause bringen wollte. Nachdem alles verstaut war, wurden die letzten Pakete mit dem begehrten Einrichtungsgut, von den bereits sitzenden Passagieren ins Auto gehoben um sich selbst damit einzubauen. Beim Aussteigen erfolgte die gleiche Prozedur naturgemäß in umgekehrter Reihenfolge.
Die Autos haben sich inzwischen geändert, die Packtechnik ist die gleiche geblieben!

Also hau ich ab mit Sack und Pack
Und pack ein paar meiner Sieben Sachen die ich hab
Und dann wird mir klar: Es fehlt immer ein Stück
Doch ich mach mir nichts draus
Setz den Wagen zurück und bin raus!
Fahr gerade über Land es wir grade mal hell
Spüre Freiheit in mir, denk das ging aber schnell
Bleibe besser in mir, denn es gibt kein „Zurück“
Und alles was ich brauch ist mein Auto und Glück

Rückenwind – Thomas D.


Nachdem wir alle Stecker gezogen und alle Geräte in unserer alten Wohnung abgeschaltet hatten, bewegten wir uns endlich Richtung Norden, nicht ohne zuvor noch unsere Schlüssel bei vertrauenswürdigen Wohnungshütern zu hinterlegen.
Bei leichtem Nieselregen und dem Tuckern des Diesels rollte der Volvo, immer begleitet vom Pfeifen des Windes (die Dachbox!), über die Autobahn. Kein Stau, keine Panne, nur das unvermeidliche Stoppen an vereinzelten Toilettenhäuschen…

Kein Diesel für die Innenstadt

Kurz vor dem Fährhafen in Saßnitz und mit noch fast zwei Stunden ungenutztem Zeitpuffer, verdrängten wir die, uns bekannte Existenz von Schnittchen, Falafel und gekochten Eiern im Fahrzeug, um das letzte Fastfood-Restaurant auf deutschem Boden zu unterstützen. Offiziell ging es natürlich nur darum, die noch verbliebenen Euro-Münzen in unseren Taschen einer halbwegs sinnvollen Verwendung zuzuführen. Sehr satt, mit noch übrigen Getränken und Speiseresten, leichten Sturzblessuren an einem der Kinder und bei einsetzendem Starkregen, bewegten wir uns dann nach Naßsitz, pardon Saßnitz um die Fähre zu erwischen.

Strom on the water


Den Fährhafen kannten wir bisher immer nur aus der sommerlichen Hochsaison und stellten uns daher auf großen Andrang und lange Wartezeiten ein. Mit großer Überraschung stellten wir dann fest, dass unser Timing dank Pipipause, Tankstopp und Fastfoodfutter perfekt war, um nahezu in einem Ritt die Fähre zu entern. Und auch an Bord war es im Vergleich zu den sonst so überfüllten Aufenthaltsräumen eine ganz neue Erfahrung, sich einen der vielen verfügbaren Plätze aussuchen zu können. Unsere Kinder entdeckten das Spielzimmer für sich, waren – immer noch ohne Nickerchen seit dem frühen Morgen – dabei die Spielzeuge ihrer natürlichen Bestimmung zuzuführen und gelegentlich in Begleitung ihrer Eltern einen Spaziergang auf dem offenen Oberdeck einzufordern.
Das wir auf der Passage auch noch den Windpark in der Ostsee kreuzten (der in unserem bisherigen Berufsleben sehr präsent war), deuteten wir als Zeichen des wehmütigen Abschieds. Oder vielleicht doch als Bitte umzukehren?


Knappe dreieinhalb Stunden später und bei deutlich besserem Wetter schipperten wir in den Hafen von Rønne. Wir waren jetzt also dort angekommen, wo wir seit ein paar Wochen, erst nur als fixe Idee, aber dann mit immer größerer Sehnsucht und Bestimmtheit hinwollten.


Es war wolkenverhangen und bei weitem nicht mehr so voll, wie wir es in Erinnerung hatten, als wir von der Fähre, über den Hafen bis in die Stadt fuhren. Das Navigationssystem brachte uns innerhalb weniger Minuten, zu dem Haus, das in den nächsten Monaten unser Zuhause sein würde. Alles wurde ausgepackt, Katze und Menschen machten sich mit dem Haus vertraut, das sie bisher nur von Bildern und Beschreibungen kannten. Das Offensichtliche wurde in Augenschein genommen, bestaunt und auch ausprobiert. Essen wollte bereitet und Betten fertig gemacht werden, bevor die Familie erschöpft in die Kissen fiel.



Bei „nur“ 300 km Entfernung Luftlinie, war es ein Tagesritt, der uns über die Grenzen des Landes und unserer Komfortzone brachte, und unsere Familie in eine neue Etappe unseres Lebens beförderte.