Endspurt
Jetzt sind es nur noch wenige Tage bis zu unserer Abreise. Obwohl wir uns für gut vorbereitet halten, gibt es immer wieder ein paar Überraschungen
Seit ein paar Tagen verschieben wir unser bisheriges Leben stückchenweise in Umzugskartons. Die Regale sind fast leer und das Kinderzimmer verwandelt sich zunehmend in ein Lagerhaus. Böse Zungen könnten behaupten, dass sich eigentlich nichts verändert hätte, doch diese Dimensionen haben selbst für uns eine neue Qualität. Mittlerweile sind es über 70 Kartons und es sind immer noch Gegenstände vorhanden, die in bester Tetris-Manier verschachtelt werden müssen. Langsam werden die Kisten knapp und wir werden wohl noch Nachschub besorgen müssen.
Zudem ist uns aufgegangen, dass noch die Steuererklärung vom letzten Jahr, zumindest für den Steuerberater vorbereitet werden muss.
Gäbe es so etwas wie den Wettbewerb für die entspannteste Auswanderung, so wären wir ganz vorne mit dabei. Es sind nur noch wenige Tage, bis wir Deutschland den Rücken kehren und uns auf den Weg zur Fähre in ein anderes Land und damit auch in ein anderes Leben machen werden. Trotzdem gehen wir weiter unserer Arbeit nach und lassen den Kindern ihren Alltag in Schule und Kita – bis zum letzten Tag. Von diesem weichen wir nur dadurch ab, dass jene Kisten gepackt und dazugehörige Inhaltslisten angelegt werden.
Unsere erste Unterkunft ist ein eingerichtetes Haus, so dass wir uns den Luxus erlauben wollen, nur mit halbwegs kleinem Gepäck zu starten, um den Rest dann ggf. und zur richtigen Zeit nachzuholen. Ein Zimmer unserer alten Wohnung bewahren wir uns dafür, um die verbleibenden unterzuvermieten.
Entgegen unserer Vermutung, sind möblierte Wohnungen am Stadtrand Berlins offenbar nur mäßig gefragt. Andererseits sehen wir den bisherigen Interessenten auch an, dass diese noch am Anfang ihrer Suche stehen, sich also in einem Stadium der Recherche befinden, in dem man noch Ansprüche hat und sich diese auch noch erfüllen möchte. Irgendwann knackt der Berliner Wohnungsmarkt aber auch jene und die erfahrene Sucherin erkennt man daran, dass sie sich nicht von vermeintlich unpassenden Details abschrecken lässt.
Hin und wieder kommt es aber auch zwischen all den Kisten, zu Momenten des Innehaltens und der unweigerlichen Sinnfrage: Was machen wir hier eigentlich und wenn ja, muss das sein? Fragen auf die wir derzeit gar nicht eingehen können und wollen, schließlich haben wir eine Fähre zu erwischen. Auch wenn gelegentlich Zweifel auftraten, so haben wir doch lange und intensiv überlegt, dieses Wagnis einzugehen. Getreu unseres inneren Antriebs, der sich seit ein paar Jahren als
„Der Weg ist, wo die Angst ist“
formulieren lässt, ist es erst recht diese Konfrontation mit dem Ungewissen, die in uns auch so etwas wie Forscherdrang oder zumindest Neugier und Zuversicht aufkommen lässt. Gerade unsere Kinder machen uns dabei eindrucksvoll deutlich, wie offen und unbedarft, man sich eigentlich auf etwas Neues einlassen kann.
Aber dann ist da noch die Steuererklärung…
Ein ganz ironisches Dankeschön geht noch an die Mitmenschen, die uns so kurz vorher, noch die Kennzeichen vom Auto geklaut haben, um damit mutmaßlich kostenlos tanken zu wollen. So haben wir eine knappe Woche vor Abfahrt noch eine Anzeige aufgegeben und zwei neue Nummernschilder nebst neuer Nummer besorgen dürfen. Den Gegenwert dieser Aktion hätten wir auch in zwei komplette Tankfüllungen investieren können.
Ich dachte immer, es heißt: Der Weg ist das Ziel.“ ?