Strahlende Aussichten
Radon ist ein Edelgas, das auf Bornholm in erheblicher Konzentration vorhanden ist. Nicht ganz so edel ist das, wofür es steht.
Niemals hätten wir dem Edelgas Radon in irgendeiner Form Beachtung geschenkt. Seit dem Ende des Chemieunterrichts war zwischen ihm und uns alles geklärt und wir gingen getrennte Wege. Doch nun treffen wir auf Bornholm wieder aufeinander.
Gerade da, wo es einen felsigen granitartigen Untergrund gibt, tritt ganz natürlich auch Radon aus und auf. Dem geht der Zerfall von Uran und Radium voraus, bei dem dieses Radon entsteht und durch das Erdreich nach oben wandert. Das ist an sich auch nichts besonderes. Besonders (hoch) ist jedoch die Konzentration davon, hier auf Bornholm.
Auf einer offiziellen Karte von 2008 lässt sich sehr gut erkennen, in welchen Dimensionen die Insel betroffen ist. Etwas verklausuliert ist ihr zu entnehmen, dass auf Bornholm mit das höchste Niveau an Radon-Strahlung besteht. Da nämlich 10-30% der vorhandenen Gebäude Werte von mehr als 200 Bq/m³ aufweisen.
Das klingt so putzig, dass man fast an „Pfusch am Bau“ denken möchte und nicht an geologische Urheberschaft. Denn was bedeutet das denn? Das die Hausbesitzer schuld daran sind, wenn die Strahlung höher liegt? Liegt es somit auch allein in deren Verantwortung, damit umzugehen? Die Angabe von durchschnittlich mehr als 200 Bq pro Jahr, können sowohl 201 Bq aber auch 1.800 Bq bedeuten, was in der Auswirkung erheblich stärkere Effekte hat. Auch die Angabe von 10-30% legt Nahe, dass es sich eher um eine Schätzung als um konkrete Messungen handelt.
Radikales Radon
Fakt ist jedoch, dass das Einatmen von Radon das Lungenkrebsrisiko erheblich steigert und bei Nichtrauchern die häufigste Ursache für diese Krankheit ist. Die WHO hat dazu einen Grenzwert von 100 Bq im Jahresdurchschnitt vorgegeben, bis zu dem von einer gewissen Unbedenklichkeit auszugehen ist. Andere Quellen stellen auch schon bei niedrigerer Dosis zelluläre Veränderungen fest. Die gesetzlichen Grenzwerte aufgrund einer EU-Richtlinie liegen mit 300Bq jedoch noch deutlich höher. Für mich ist das nicht nachvollziehbar und der Verdacht liegt nahe, dass dies eher politisch als medizinisch motiviert sein könnte.
Außerdem steht das Gas in dem Ruf bei Kindern Leukämie zu verursachen, womit diese quasi doppelt gefährdet wären. Schließlich sind wir u.a. auch deswegen hergezogen um sie (und uns) der großstädtischen Feinstaubbelastung, den Abgasen und menschengemachter Strahlung mit teilweise noch ungewissen Auswirkungen, zu entziehen.
Und nun, Pustekuchen?
Das Paradies hat Kratzer abbekommen
Um nicht völlig in Panik zu verfallen und sich streng wissenschaftlich an Fakten zu halten, anstatt sich einem diffusen Angstgefühl hinzugeben, haben wir beschlossen, der Sache auf ganz persönlicher Ebene nachzugehen. Aus diesem Grund haben wir uns ein Messgerät für Radon be- und in der Wohnung aufgestellt. Das untertassengroße Airthing Wave kostet knapp 200€ und misst neben Radon auch noch die Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Raum. Auf eine Handbewegung (wave) hin, wird die aktuelle Luftgüte mit einem farbigen Lichtsignal angezeigt. Per Bluetooth (nicht ständig) kann man eine Verbindung zum Smartphone oder Tablet herstellen und sich genauere Werte und längerfristige Auswertungen ansehen.
Dabei hat sich herausgestellt, dass unsere Wohnung größtenteils im buchstäblich grünen Bereich liegt (also unter 100 Bq). Allerdings gibt es auch immer wieder Phasen, mit extrem hohen Werten, mit weit über 300 Bq, die wiederum dazu führen, dass im Durchschnitt auch die 100 Bq gerissen werden.
Was kann man tun?
Wie die meisten Übeltäter ist auch Radon ziemlich flüchtig. Das heißt, die schnellste und einfachste Gegenmaßnahme ist lüften, lüften und lüften. Außerdem noch lüften und ach ja, lüften. Unsere Morgenroutine ist daher seit Neuestem von einer intensiven Luftzirkulation dominiert. Bleibt die Anzeige dennoch rot, wird es Zeit für einen Spaziergang oder gleich einen längeren Ausflug. In der Abwesenheit wird natürlich weiter gelüftet. So können wir uns einreden, dass der Durchschnittswert der Wohnung womöglich über 100 Bq liegen könnte, wir aber durch unser smartes Vorgehen noch viel weniger davon betroffen sind.
Das setzt natürlich voraus, dass andere Aufenthaltsorte, wie bspw. Schule oder Kindergarten ähnlich ambitioniert sind. Auf unsere Rückfrage hin, sind sie das sogar. Auch wenn die erste Reaktion auf völlige Überraschung hindeutete, wurde uns später zugesichert, dass die Messwerte in Ordnung sind. Da der Kindergarten erst vor wenigen Jahren neugebaut wurde, unterliegt dieser ohnehin der Radon-sensibilisierten Bauordnung von 1998 und hatte bereits im Bau entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Diese bestehen vor allem in der Abdichtung des Bodens und der Fassade im Bereich des Kellers bzw. der ersten Etage. Bei hartnäckigen Fällen wäre zudem noch ein Staubsauger für die Raumluft angebracht.
Das wiederum ist mit zusätzlichen Kosten verbunden, die nur die Wenigsten zu tragen bereit sind. Glaubt man zumindest den Äußerungen der wenigen Dienstleister auf diesem Gebiet. Wo man auch nachfragt, stets fällt die Reaktion ähnlich gelangweilt und ernüchtert aus, so dass man sich seiner Sorge schon fast schämen möchte.
Haben nur wir vom Baum der Erkenntnis gegessen? Immerhin waren ja reichlich Äpfel dabei während des vergangenen Herbstes. Oder war es doch nur das Gebüsch der Verunsicherung?
Fairerweise kann man das noch nicht mal als typisch dänisches Verhalten abstempeln. Denn wie wir inzwischen erfahren haben, sieht es in Deutschland kaum anders aus. Besonders an der Ostseeküste und immer stärker zunehmend, südlich von Brandenburg und Niedersachsen bewegen sich die Werte in ähnliche, teils erschreckend hohe Dimensionen. Und obwohl das Risiko bekannt ist, gibt es nur allenthalben einen Zeitungs- oder Fernsehbericht dazu. Reaktionen der Bevölkerung finden sich, falls überhaupt, ebenfalls unterhalb der Wahrnehmbarkeit wieder.
Vorbild Schweden?
Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass wir überbesorgt sind und glauben Gefahren zu sehen, die wir gar nicht ernst nehmen müssten. Bei allen Informationen zu einem potenziellen Risiko an Lungenkrebs zu erkranken, fragt man sich unweigerlich, wie hoch denn die tatsächlichen Zahlen sind.
Nach Angaben der Dänischen Krebsgesellschaft (Danish Cancer Society) sterben in Dänemark jedes Jahr mehr als 300 Menschen an den Folgen der Radon-Strahlung und damit fast doppelt so viele wie im Straßenverkehr. Wer die dänische Fahrweise kennt, wundert sich über diese Relation nicht. Wohl aber über den nachlässigen Umgang mit der latenten Gefahr aus dem felsigen Untergrund.
Das benachbarte Schweden, gebeutelt mit einer weitaus stärkeren, natürlichen Radon-Strahlung, hat niedrigere Erkrankungswerte vorzuweisen. Die stete Gefahr spielt nicht nur eine große Rolle in der Öffentlichkeit, was durch staatliche Information noch gefördert wird. Zusätzlich sind Hausbesitzer verpflichtet, Messungen vorzunehmen und falls notwendig, Gegenmaßnahmen zu ergreifen um die gesetzliche Grenze von 200 Bq nicht zu überschreiten.
Ob Dänemark sich daran orientiert, ist mir jedoch nicht bekannt.
Es gibt ja auch andere Wege. Gerade in Sachsen kennt und kannte man auch sogenannte Radon-Kuren, bei denen man sich in erzgebirgischen Schächten aufhielt um die Luft dort zu veratmen. Alternativ wurde auch mit Radon angereichertes Trinkwasser zu sich genommen. Vorgeblich hilft das bei rheumatischen Leiden und Entzündungen. Vielleicht ist das ja ein Ansatz für das Tourismusmarketing, der immerhin zweitbeliebtesten Ferieninsel Europas.
Trotz allem wollen wir gelassen damit umgehen. Doch langfristig stellt sich natürlich die Frage, ob wir hier noch richtig sind. Sollten wir uns ein älteres Haus zulegen, sind Kosten für eine Radonsanierung eigentlich schon vorprogrammiert.
Der pragmatische Kommentar eines Bornholmers lautete:
„Wissen ist gefährlich!“.
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