Und was wird das jetzt?

Und was wird das jetzt?

14. Januar 2020 2 Von Holm Bourne

Diese Frage, hören wir nicht nur aus dem Familien- und Freundeskreis. Vor allem stellen wir sie uns selbst. Gerne öfter und mit sehr unterschiedlichen Antworten.

Es sind nun schon gute vier Monate, seit unserer Ankunft hier. Der gerade überstandene Jahreswechsel bietet ja traditionell den Anlass, mal darüber nachzudenken, was so in der jüngsten Vergangenheit passiert ist. Und viel wichtiger noch, wie es denn weiter gehen soll. Das hier mit uns, auf dieser Insel, in diesem Land.

Die letzten Wochen waren herrlich unspektakulär. Die Kinder gedeihen in den jeweiligen Tagesbetreuungen, sind beneidenswert unbekümmert und haben klare Prinzipien, an die sie sich strikt halten: spielen, toben, lecker essen und gelegentlich diverse Grenzen ausloten. Das hat nicht unbedingt etwas mit Bornholm zu tun, aber die Rahmenbedingungen sind hier sehr günstig dafür.

Von der scheinbaren Barriere, wie der einer Sprache lassen sie sich nicht weiter beeindrucken, sondern verstehen sie wohl eher als Herausforderung. Ich halte es ja für ein Geschenk zweisprachig aufwachsen zu können. Eines, das sich erst im gereiftem Alter offenbart.

Wir Eltern hingegen erleben gerade unsere gefühlte Pensionierung. Pflichtschuldig bringen wir die Kinder in ihre Bespaßungseinrichtungen, um danach durch die Kaufhallen zu schlendern, vielversprechende Back- und Kochrezepte auszuprobieren, die angestaute Film- und Bücherliste der letzten Jahre abzuarbeiten, nochmal eine Fremdsprache zu erlernen oder das Internet nach Antworten auf ungestellte Fragen hin zu durchforsten. So stellen wir uns das Leben als Rentner vor!

Nun gäbe es eigentlich nichts dagegen einzuwenden, regelmäßig ein langes Wochenende von Mittwoch bis Dienstag zu haben. Doch unabhängig von finanziellen Bedürfnissen, wollen wir vielleicht noch etwas mehr bewegen als nur die eigene Zahnbürste.

Vielleicht etwas sinnvolles und -stiftendes. Jenseits aller Bullshit-Jobs, womit sich bestenfalls auch die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens adeln ließe. Die Suche danach treibt uns täglich um. Phasenweise führt dies aber leider auch zu deprimierenden Momenten, die immerhin von einer Prise Ratlosigkeit gewürzt sind.

Arbeit – weil’s so schön ist

Ein paar unserer Ziele dieser Auswanderung sind jedenfalls schon erfüllt. So haben wir uns als Familie einer Leistungs- und Konsumgesellschaft entzogen, mit der wir uns schon länger nicht mehr identifizieren wollen und können. Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass die utopistischen Anwandlungen Dänemarks wirtschaftlich erfolgreich wären, ohne auf diese Wohlstandsparameter zu setzen.

Dass die Dosis das Gift macht – oder eben nicht, sehen wir hier jeden Tag bei den Einheimischen. Leider ergibt sich, trotz aller integrativen Bemühungen, keine Gelegenheit, uns in diesen Wirtschaftskreislauf einzubringen. Mit unseren, endlichen Ersparnissen können wir zwar noch eine Weile den üppigen Kosten und Verpflichtungen nachkommen. Trotzdem wäre es uns lieber, wir bekämen die Gelegenheit, zumindest einen Teil unseres Bedarfs aus uns selbst heraus zu generieren.

Mit hoher Qualifikation und niedrigen Ansprüchen sollten wir dafür an sich bestens vorbereitet sein. Aber da steht uns die Sprachbarriere noch im weg. Obwohl wir regelmäßig lernen und die Sprache auch trainieren, kann es noch dauern, bis wir souverän parlieren. Auf dänisch.

Das Phänomen deutscher Großstädte, dass man sich in manchen Bereichen wie selbstverständlich auf englisch – oder deutlich exotischer – verständigen muss, scheint hierher noch nicht durchgedrungen zu sein. Selbst kleinste Hilfsaufgaben will man uns nicht zumuten, solange wir mehrere Sekunden um jeden Satz kämpfen müssen.

Es ist auch absehbar, dass weitere Verpflichtungen auf uns zukommen, je länger wir hier bleiben. Der Übergang vom Langzeitbesucher zum Einwohner ist zwar schleichend, dennoch spürbar. Auch unsere Unterkunft, die Ferienwohnung, trägt gewiss zu unserem Eindruck des provisorischen Wohnens bei.

Einpacken oder Anpacken?

An diesem Punkt wäre es das Leichteste, aufzugeben und das Wagnis als gescheitert anzusehen. Lass uns packen und wieder nach Deutschland ziehen. Es muss ja nicht wieder Berlin sein. Denn es war nicht alles schlecht in der BRD (sowas wollte ich schon immer mal schreiben) und wir kennen uns halbwegs aus, wissen was wir zu erwarten haben und was von uns erwartet wird.

Doch so richtig können wir uns nicht dazu durchringen. Sei es, um sich ein mögliches Scheitern nicht eingestehen zu müssen oder weil die Alternative hierzu, nicht die Rückkehr nach Deutschland sein soll. Nicht sein darf. Hierherzukommen war Folge einer Sehnsucht, die sich tatsächlich auch in weiten Teilen erfüllt hat. Aber eben nicht in allen.

Trotz des kalendarischen Herbstes gab es ein Aufblühen für uns. Eine Erleichterung über den Druck, der uns von den Schultern fiel. Das Erlernen eines etwas archaischeren Lebensstils, vor dem uns die Großstadt immer bewahrt hat. Und nicht zuletzt die Erkenntnis, dass wir mit dem Wenigen, was wir bei uns tragen und mitnahmen, immer noch sehr gut und ausreichend versorgt sind. Oder wie es kürzlich in dem Dokumentarfilm „Weit“ hieß:

Wer viel hat, muss viel tragen.

angeblich mongolisches Sprichwort

Wir haben eindeutig viel mehr, als wir brauchen, wie man an den zurückgebliebenen 90 Kartons erkennen kann.

Dieses neue Leben möchte eigentlich keiner von uns aufgeben. Was uns derzeit fehlt, ist eine Perspektive unserem Aufenthalt hier eine substanzielle Basis zu verpassen. Unsere Ideen mit denen wir herkamen sind ihrer Zeit entweder zu weit voraus oder schlicht zu teuer.

Sollten wir uns dafür entscheiden, weiterhin hier zu bleiben, wird das wohl nur funktionieren, wenn wir hier selbständig arbeiten. Irgendetwas solides, zeitloses mit wenig Startkapital…
Ob wir unser selbst gewähltes Exil beibehalten oder aufgeben ist noch unklar. Bis zu einer finalen Entscheidung halten wir Augen und Ohren aber noch offen…