Deutschland – unsere Winterreise

Deutschland – unsere Winterreise

14. März 2020 0 Von Holm Bourne

Wenn es schon keinen Schnee mehr in den Winterferien gibt, dann brauchen wir für diese auch keinen echten Urlaubsort mehr.

Es ist hier absolut verpönt, über das Wetter zu reden, also lassen wir es. Zunächst. Aber ganz im Ernst, es sind Winterferien und wo verbringt man seinen Urlaub, wenn man selbst schon auf einer Urlaubsinsel lebt? Konsequenterweise muss der Ausgleich zu einer kleinen, ruhigen, naturnahen Insel in einer übervollen Großstadt liegen. Lasst uns daher nach Berlin fahren.

Von Dänen hymnisch besungen und im Radio auf Dauerbeschallung

Ganz sicher steht uns der Sinn nicht nach Lärm, Hektik und vielen Menschen. Viel eher vermissen wir die Familie und Freunde aus der alten Heimat, wofür allerdings die eine Woche Schulferien kaum ausreicht. Vieles erzählt man sich noch per E-Mail oder Telefon, aber was sich schleichend verändert hat und kaum wahr genommen wird, stellt sich für uns, durch die lange Abwesenheit als radikaler Umbruch dar.

Also nehmen wir mal wieder die Fähre nach Sassnitz. Sonst war es der Gastro- und der (bescheidene) Spielbereich, den wir während der drei Stunden Überfahrt in ein UNO-Spiel Trainingslager verwandelten. Seit Neuestem haben wir die Pritschen des Ruhebereichs für uns entdeckt, auf denen es sich entspannt entspannen lässt. Auch der Seegang ist im Liegen wesentlich besser zu ertragen.

Der Gegenwind von Rügen macht nicht nur der Fähre zu schaffen und verzögert die Ankunft außerplanmäßig. Dort angekommen, pfeift es allenthalben durch jede Ritze. Während Windradbesitzer das Schmunzeln nur schwer aus Ihrem Gesicht bekommen, setzen wir uns anderen Naturgewalten aus und verkriechen uns mit den Kinder in ein Spaßbad…


Nicht vom Fleck gekommen

Vollbeladen geht es weiter. Aus Bornholmer Beständen haben wir noch eine alte, deutsche (!) Standuhr dabei, die ein Käufer in Berlin haben möchte. Von ihr wird allerdings auch mehr als nur ein Sitzplatz im Auto belegt, den diese mit ihrem Verkaufserlös rechtfertigt.
Wir haben schon etwas mehr als die halbe Strecke nach Berlin geschafft, als plötzlich das Fahrgeräusch lauter und das Auto langsamer wird. Kurz nach der Abfahrt von der Autobahn fährt es dann gar nicht mehr an und wir schieben es noch auf den nächsten Seitenstreifen.

Standuhr
Die Standuhr heißt auf dänisch tatsächlich „bornholmerur

Was wie ein Getriebeschaden erscheint, wird sich später als verschlissene Antriebswelle herausstellen. Vorerst warten wir jedoch mehrere Stunden in der Schorfheide bis der Pannendienst erscheint und uns auflädt. Mit einem – ebenso vollgepackten – Mietwagen kommen wir sehr viel später als geplant in Berlin an.

Eine knappe Woche Zeit haben wir uns gegeben. Das ist schon für Dauerbewohner kaum genug Zeit, um das straffe Programm zu erledigen. Natürlich geht es uns vor allem darum, Familie und Freunde zu treffen, mit denen man nur virtuell in Kontakt stehen konnte. Doch im gleichen Raum zu sein, die gleiche Luft zu atmen und gemeinsam das gleiche Essen zu sich zu nehmen, kann nicht einmal dieser Web-Blog ersetzen. Selbst dann nicht, wenn ein Corona-Virus, jeden überflüssigen Körperkontakt verpönt.

Was mir dabei auffällt, ist die enorme Relevanz der Erwerbsarbeit in unserem Leben. Sei es wegen der – berechtigten – Frage an uns, ob wir denn schon eine Arbeit gefunden hätten oder aber auch wegen der offensichtlichen und auch subtilen Präsenz in den Erzählungen unserer alten Gemeinschaft.
Es ist mir bisher nicht aufgefallen, wie sehr Erwerbsarbeit und ihre Auswirkungen als Rechtfertigung verwendet wird. Das scheint in Dänemark nicht anders zu sein, wenn auch weniger verbissen. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur an unserer Situation, dies, mit einem mittlerweile recht großen Abstand, zu beobachten. Meine aktuelle Einschlaflektüre der „Utopien für Realisten“ untermauert diese Grübelei vermutlich noch, denkt der Autor doch bekannte Thesen weiter:

Arbeit ist die Zuflucht der Menschen, die nichts Besseres zu tun haben.

Oscar Wilde (1854-1900)

Wenn der Hamster kauft

Die übrige Zeit verbringen wir bei den diversen Ärzten mit (Kontroll-) Untersuchungen, die selbst mit dänischer Krankenversicherung, hier nicht vorgesehen oder schlicht sehr viel teurer sind. Der Stempel Dazu später einmal mehr.

Unsere verbleibende Mission lautet, den freien Platz im Kofferraum sinnvoll auszureizen. Das gelingt am besten mit Drogerieartikeln und Lebensmitteln. Dänemark ist teuer, erst recht auf einer Insel und das Sortiment kennen wir bereits so gut, dass wir langsam etwas Abwechslung vermissen. Während sich corona-bedingt schon andere Regale lichten, bunkern wir verschiedene Aufstrichsorten, Schokolade und Zahnpasta. Mit diesen Antagonisten der Mundhöhle im Gepäck treten wir viel zu früh den Heimweg an.

Einkaufsergebnis
Die Rückkehr des Westpakets – neu aus dem Süden

Schon am ersten Tag in Deutschland kam uns alles ungewohnt fremd vor. Waren wir uns in den letzten Wochen Bornholm nie ganz sicher, ob und wie es weitergehen soll, bestätigte dieser Aufenthalt wohl unseren inneren Dänen. Die aktuellen Herausforderungen bleiben, aber vor die Wahl zwischen Deutschland und Dänemark gestellt, schlägt das Pendel Richtung Dänemark aus. Das führt sogar so weit, dass sich ein Gefühl wie Heimweh einstellt, obwohl man sich gerade in der alten Heimat befindet.

Trotzdem, wenn auch wieder einmal als Letzte auf der Fähre angekommnen, schippern wir auf unsere Insel. Weil wir es so wollen.